Wirtschaftsmagazin für die frauenärztliche Praxis 5/2024

MEDIZIN

Verhütungsforschung – großer Bedarf an Optionen für Männer

Im September veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für Andrologie (DGA) ein Symposium zur Verhü tungsforschung in Münster, auf dem der aktuelle wissenschaftliche Stand präsentiert wurde. Das Bundes ministerium für Bildung und Forschung hatte eine Initiative zur Förderung der Kontrazeptionsforschung aller Geschlechter gestartet und die DGA mit der Ausrichtung des Symposiums beauftragt. Wir sprachen mit dem Pressesprecher der DGA, Dr. Jann-Frederik Cremers, über neue Verhütungsoptionen beim Mann.

Der Bedarf an männlichen Verhütungs möglichkeiten ist auf jeden Fall groß, da bei Frauen die hormonelle Verhütung immer unbeliebter wird. Auch wenn Männer im Sinne der Geschlechter gerechtigkeit bei der Familienplanung zunehmend Verantwortung übernehmen wollen, bleibt medizinisch seriöse und mit Daten abgesicherte männliche Ver hütung bislang auf das Kondom und die Vasektomie beschränkt. Das zeigt umso mehr die Notwendigkeit von zielgerich teten Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet. Auf dem Symposium wurden neue nicht-pharmakologische Ansätze vorgestellt, die die Spermienfunktion adressieren. Was ist damit gemeint? Dr. Cremers: Ein Ansatz ist die thermische Kontrazeption, bei der die Hoden z.B. mit tels eines Silikonrings nach oben in Rich tung Leiste geschoben werden. Dort sind sie einer höheren Körpertemperatur aus gesetzt, wodurch die Spermienproduktion eingeschränkt wird. Zu dieser Methode gibt es aber nur kleine Fallstudien. Wir wissen noch nicht, wie schnell sie wirkt, wie sicher sie ist und ob sie reversibel ist. Ebenso wer den Gele in kleinen Fallstudien erprobt, die mit einem Endoskop in den Samenleiter appliziert werden und diesen verschließen sollen. Dr. Cremers: In der Erforschung ist zur zeit ein Ansatz, bei dem ein Spermien protein selektiv gehemmt wird, allerdings soll das wiederum im Körper der Frau stattfinden. Diese Methode hat bisher noch keine Marktreife. Relativ weit ist die Entwicklung eines Hormongels für Männer zum Auftragen auf die Haut, das in kleineren Studien bereits getestet wurde. Das Gel enthält Testosteron und Segesteronacetat, ein synthetisches Gesta Welche neuen Verhütungsmethoden für Männer werden zurzeit erforscht?

Dr. med. Jann- Frederik Cremers Centrum für Repro duktionsmedizin und Andrologie, Universi tätsklinikum Münster

A uf der Veranstaltung in Münster stellten internationale Referentinnen und Referenten neueste Erkenntnisse zur Kontrazeptionsforschung zum weiblichen und männlichen Fortpflanzungssystem vor, z.B. über das Verhütungsverhalten in Deutschland, die Wirksamkeit und Akzep tanz von Verhütungsmitteln bei Mann und Frau oder neue nicht-pharmakologische Ansätze, die die Eizellfunktion und/oder Spermienfunktion ins Visier nehmen. Dis kutiert wurde auch über die soziale Dimen sion des Themas, da heute die Verhütungs gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern einen großen Stellenwert einnimmt. „Das Umfeld hier in Münster ist insofern per fekt, als seit 1978 aktive Forschung zur Kontrazeption beim Mann gemacht wird. Das heißt, hier gibt es eine sehr lange Ge schichte zur Verhütungsforschung“, sagte DGA-Präsidentin Prof. Sabine Kliesch, Direktorin der Klinik für Andrologie am Universitätsklinikum Münster (UKM), die das Symposium veranstaltete. Sehr geehrter Herr Dr. Cremers, wie ist der aktuelle Stand bei den Kontrazep tionsmethoden für den Mann? Dr. Cremers: Es besteht eine große Diskre panz zwischen der öffentlichen Wahrneh mung über vermeintlich neue männliche Verhütungsoptionen und ihrer bislang fehlenden wissenschaftlichen Einord nung. Wir wissen noch nicht, wie hoch die Verhütungssicherheit ist und welche Schäden diese neuen experimentellen Methoden möglicherweise verursachen.

gen. Gemeinsam sollen die zwei Hormone die Spermienproduktion hemmen.

Wann ist mit der Markteinführung neuer Methoden zu rechnen? Dr. Cremers: Leider hatte sich die Industrie lange Zeit ganz aus der Erforschung der hormonellen Verhütung beim Mann zu rückgezogen, nachdem eine große Studie der Weltgesundheitsorganisation, bei der Hormone per Injektion verabreicht wur den, 2011 abgebrochen wurde, da jeder zehnte Proband über psychische Neben wirkungen klagte. Die Industrie steigt erst jetzt wieder in die Forschung ein. Trotzdem ist eine staatliche Förderung notwendig, um Methoden, wie z.B. den Silikonring bei der thermischen Verhütung, weiterzuent wickeln, die finanziell nicht lukrativ sind. Auch sollte über etablierte Verfahren wie die Vasektomie in Deutschland mehr infor miert werden. In Australien und Neuseeland nutzen 25% der Paare nach abgeschlosse ner Familienplanung diese Methode, in Deutschland sind es nur 4–6%.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte kb Quelle: Symposium „Neue Konzepte in der Kontrazeption: Forschung trifft Familienplanung“, 10.–12.09.2024 in Münster. Veranstalter: Deutsche Gesellschaft für Andrologie, gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung

BILD(ER): VECTORIUM – SHUTTERSTOCK

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