Wirtschaftsmagazin für die frauenärztliche Praxis 5/2024
WIRTSCHAFT
Wie kann die Übergabe der Praxis möglichst reibungslos vonstatten gehen? Dr. Rauch: Voraussetzung ist zunächst die exakte Zusammenstellung aller Unter lagen, d.h. die Betriebswirtschaftliche Aus wertung (BWA) der letzten 3–5 Jahre, ent sprechende KV- und Privatabrechnungen und ggf. BG-Abrechnungen, IGeL-Leis tungen, Gutachtenhonorare, aktualisierte Inventarliste und Ausstattung der Praxis, Mitarbeiter- und Mietverträge, alle Fach arztzeugnisse und Zusatzqualifikationen für die Vertraulichkeitsprüfung (sog. Due Diligence). Wie lange ist die Immobilie am Standort abgesichert? Oder muss die Praxis ggf. an einen anderen Standort über führt werden? Bei Großpraxen und BAGs ist es zwingend notwendig zu analysieren, ob jüngere Kollegen in die Praxis aufgenom men werden sollen oder ob die Praxis als Ganzes verkauft werden soll. Hierzu sind die individuellen Lebenspläne kritisch ab zuwägen. Sollte eine größere BAG verkauft werden, muss eine einheitliche Verkaufs strategie mit Verhandlungskorridoren, z.B. Kaufpreis, vorab konsentiert und ein Ver handlungsteam gebildet werden, um mit einer Stimme zu sprechen. Zudem sollten Sie professionelle Berater an Bord holen, denn die Praxiskäufer, z.B. eine Private Equity-MVZ-Kette oder ein Klinik-MVZ, schicken in der Regel Vertragsprofis und Sie verkaufen nur einmalig. Die steuerlichen Aspekte mit halbem Steuersatz ab dem 55. Lebensjahr nach § 34 Einkommensteuergesetz sind natür lich zu beachten. Weiterhin sollten Sie überlegen, wie lange sie nacharbeiten wol len. In der Regel ist eine weitere dreijährige Vertragsarzttätigkeit zwingend notwendig, um die Zulassung am Standort zu erhal ten. Hier muss geschaut werden, inwieweit eventuell auch eine Teilzeittätigkeit mög
lich ist oder welchen Umfang der Jahres urlaub einnehmen soll. Die Kaufpreisgestaltung richtet sich vor allem nach dem Markt. Im Extremfall werden Praxen auf dem Land verschenkt, während hochspezialisierte, große Fach arztpraxen (z.B. Labor-, Radiologie-, ope rative Augen- und Orthopädiepraxen) für das 5–10-fache „Multiple“ verkauft wer den (s. Infobox). Die sehr hohen Multiples sind nur für Top-Praxen zu erzielen, die der Investor unbedingt strategisch erwer ben will. In letzter Zeit gehen die Multiples nach unten. Das alte Ärztekammermodell mit dem 2,5-Fachen des Jahresgewinns abzüglich eines fiktiven Oberarztgehalts gehört zunehmend der Vergangenheit an. Sehr wichtig ist Ihr anschließender Angestelltenvertrag, häufig mit variablem Anteil, der an den wirtschaftlichen Erfolg gebunden ist. Beachten Sie: Was nützt Ihnen ein Multiple von 7, wenn Sie keine Chance haben, den 40%-Earnout und Ihren variablen Gehaltsanteil zu erreichen? Dann arbeiten Sie lieber selbstständig weiter. Ach ten Sie deshalb nicht nur auf den Brutto verkaufspreis, sondern auch darauf, ob Sie Ihre gute Medizin unter dem neuen Träger genauso weitermachen können. Dr. Rauch: Praxisabgeber sollten mit ihren Steuerberatern und einem in Transaktionen erfahrenen, beratenden Juristen ein erfah renes Beratungsteam zusammenstellen, um auch einen realistischen Praxisverkaufs preiskorridor zu ermitteln. Arbeiten Sie sich auch selbst hinreichend in das Thema ein: Direkte Verhandlungen mit einem Praxis interessenten, Veräußerung des Praxisan teils in einer Gemeinschaftspraxis, Verkauf der gesamten Gemeinschaftspraxis an an dere Gemeinschaftspraxen, Klinik-MVZ oder private MVZ-Ketten. Gehen Sie aktiv mit einem guten schriftlichen Konzept auf die infrage kommenden Investoren, Klinik MVZs und/oder interessierte Großpraxen zu. Zum Verhandlungsbeginn wird bei den MVZ-Ketten häufig ein „Letter of Intent“ mit Verhandlungskonditionen gewünscht. Vermeiden Sie hierbei möglichst die häufig von der Gegenseite gewünschte sogenannte „langlaufende Verhandlungsexklusivität“, denn dann können Sie womöglich nur für ein Jahr mit nur diesem einen Investoren MVZ verhandeln. Mehrere Kaufinteressen ten parallel sind strategisch besser. In den Letter of Intent sollte einfließen, welche Arbeitsleistung Sie nach dem Verkauf noch leisten möchten und wie lange. Auch muss eine ggf. erwünschte Geschäftsführertätig keit von Ihnen besonders bedacht werden, Welche wirtschaftlichen Überlegungen sind im Vorfeld wichtig?
Was ist ein Multiple?
da Sie hier in der persönlichen Haftung sind und häufig noch einen kaufmänni schen Mit-Geschäftsführer haben bzw. der neue Besitzer auch festlegt, was überhaupt investiert wird und welche Arbeitsbedin gungen Sie haben. Weiterhin ist wichtig, absolute Vertrau lichkeit zu vereinbaren. Sie sollten erst in tern alles klären, dann die Verhandlungen sehr vertraulich führen und die Mitarbeiter nach Möglichkeit nicht mit einbeziehen – und wenn, dann nur die Praxismanagerin. Erst wenn die Sache unterzeichnet ist, soll ten Sie an die Öffentlichkeit gehen und dann auch rechtzeitig die Anträge beim Zulassungsausschuss der KV stellen. Hier sollten Sie unbedingt abklären, dass der übernehmende Praxispartner bzw. gerade auch MVZ-Investorengesellschaften über genügend Liquidität verfügen. Denn das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass es zu einem Verkauf („Closing“) kommt, das Geld nicht fließt und Sie die Praxis be reits dem Zulassungsausschuss übergeben und die Öffentlichkeit informiert haben. Zu diesen Supergaus ist es auch schon gekommen. Worauf kommt es bei der Kommuni kation im Praxisteam während des Übergabeprozesses an? Dr. Rauch: Für die Zusammenstellung der umfassenden Unterlagen ist in der Regel die streng vertrauliche Einbeziehung der Praxismanagerin, ggf. auch des Leitungs teams notwendig. Das gesamte Praxisteam sollte erst am Ende informiert werden, wenn die Verträge unterzeichnet sind. Die Vorstellung des neuen Besitzers sollte zeit nah erfolgen mit einer wertschätzenden Übergabe und dem Hinweis, dass alle Mitarbeiter zu den gleichen Konditionen übernommen werden und auch die Ärzte wie bisher in der Praxis weiterarbeiten. stimmte wirtschaftliche Bedingungen für einen suffizienten Weiterbetrieb der Praxis geknüpft ist. Häufig ist er nur schwer erreichbar. Der Earnout wird erst nach 3–5 Jahren ausgezahlt. Ein Multiple, das heißt Ertragsmultiple, ist der Vorsteuergewinn (EBITDA) abzüglich des zukünftig vereinbarten Angestelltenjahresgehalts aller Ärzte. Häufig wird ein anteiliger Zusatzkauf preis, der Earnout, von 10–40 % des Kaufpreises vereinbart, der an be
Vielen Dank für das Gespräch!
BILD(ER): EAMESBOT – SHUTTERSTOCK
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